Samstag, 10. Januar 2015
Im Dauerregen in Sapa
Donnerstag, 8. Januar 8 Uhr früh. Ich schlürfe heißen Tee und genieße ein frisches Brötchen mit Sapa-Honig. Um ehrlich zu sein: So richtig genießen kann ich es nicht. Immer noch dreht sich das Gehirn in meinem Kopf. Dabei hatte ich die wackelige Nacht im Zug von Hanoi nach Lao Cai an die Grenze zu China überstanden, ohne seekrank zu werden. Für die Fahrt nach Sapa ins Hochland habe ich extra einen Toyota 4WD gechartert. Denn solange ich vom Frontsitz aus sehen kann, wohin "die Reise" geht, überstehe ich eine kurvenreiche Fahrt eigentlich ganz gut. Doch schon nach den ersten hundert Höhenmetern sind wir in den Wolken. Sicht gleich null. Eine Serpentine nach der anderen. Dazwischen ruckartige Lenkbewegungen des Fahrers, um Schlaglöchern oder Fußgängern auszuweichen, die im letzten Moment im Lichtkegel der Scheinwerfer auftauchen. Und dann ständig zwei hyperaktive Scheibenwischer vor der Nase, die sich um die Nebelnässe auf der Windschutzscheibe kümmern. Als wir endlich Sapa erreichen, wird die Sicht zwar besser, aber mir ist ziemlich übel.

Der Tee ist warm, der Honig schmeckt. Geduscht bin ich auch schon. In 20 Minuten kommt mein Guide. Dann wollen wir auf einem rund 10km langen Trail das Tal entlang wandern. Es wird von ethnischen Minderheiten bewohnt, die eng mit jenen im Norden von Laos und Thailand verwandt sind und über Jahrhunderte ihre eigene Sprache und Kultur bewahrt haben. Die Nacht wollen wir in einem Dorf der "H'mong" verbringen und dann weiter in Dörfer der "Dzao", "Tay" und "Xa Pho" bis zur Topas Eco Lodge, wo ich die zweite Nacht in etwas mehr Luxus verbringen möchte. Und das alles mit Blick auf den knapp 3150m hohen Fansipan, den höchsten Berg Vietnams. Soweit jedenfalls der Plan.

Um 8:30 steht Ker vor mir, eine junge H'Mong-Mutti aus dem Dorf Thanh Kim. Sie hatte einen Regenschirm dabei und empfahl mir, mich entsprechend zu bewaffnen. Zwar nieselte es nur, aber bei 5 Grad plus kann das auf die Dauer unangenehm werden. Ich streife meinen Regenanzug über, den ich zuletzt vor Jahren zum Golfen getragen hatte. Am ersten Shop investiere ich 4 Dollar in einen Knirps - sicher ist sicher.

Zunächst geht es eine Nebenstraße entlang leicht bergab. Schnell haben wir ein Gefolge von H'mong-Frauen im Schlepptau die darauf hoffen, einige ihrer Handarbeiten verkaufen zu können. Auch ich hoffe. Dass sich der Nebel bald lichten würde. Inzwischen haben wir einen schmalen Pfad genommen, der uns vermutlich ins Tal führt. Zumindest ist das aus dem Gefälle zu schließen, mit dem ich nun zu kämpfen habe.

Der lehmige Boden ist höllisch rutschig und meine Treter haben keine Spikes. Zudem werden die Sohlen immer dicker. So klebrig ist der Lehm. Beides zusammen eine gefährliche Mischung - vor allem wenn man mit der lehmigen Sohle auf einen glatten Stein trifft. Und das flaue Gefühl vom Morgen habe ich noch immer im Magen. Spaßfaktor nahe Null. Es geht nur ums "Überleben".

Zu Mittag kommen wir mit reichlich Verspätung in "Ta Van" an, wo ein Teller Reis mit Hühnchen und ein heißer Tee auf uns warten. Im Nu sind auch all die Frauen wieder da, die uns zeitweise begleitet hatten. "You buy from me? Me velly velly cheap!" Habe mich dann erweichen lassen und eine Tragetasche gekauft zum Schutz für die Kamera. Von einer jungen Mama mit Baby auf dem Rücken. Sie stand da und weinte, weil eine Holländerin versprochen hatte, von ihr zu kaufen. Und dann wohl doch von einer anderen gekauft hatte. Ich kann halt keine Tränen sehn.

Eigentlich wäre es jetzt Zeit für einen Mittagsschlaf. Zumal der Regen inzwischen stärker geworden ist. Aber Ker treibt zum Aufbruch. Weiter geht es Hügel rauf und Hügel runter durch Reisfelder und Bambuswälder.

Die Finger sind kalt und steif. Inzwischen hat der Wind aufgefrischt und macht das Ganze ziemlich unangenehm. Gegen 17 Uhr erreichen wir unser Ziel - ein halbwegs komfortables Haus mit Platz für 8 Gäste auf der Empore. Zwei Mädels aus Dänemark - Sissel und Marie - sitzen schon geduscht am Feuer mitten im Wohnzimmer. Die Dusche sei schön warm. Die beste Nachricht bislang an diesem Tag. Gerne nehme ich ein Glas heißen Reiswein, während ich mich aus dem feuchten Regenanzug schäle.

Am Feuer ist es angenehm warm. Zumindest auf der ihm zugewandten Seite. Während wir unserer Herbergs-Mutter beim Kochen zuschauen, macht ein Krug mit heißem Reiswein die Runde. Erkältungen muss bei einem solchen Wetter rechtzeitig vorgebeugt werden. Das Dinner ist köstlich. Frühlingsrollen, Hühnchen mit Reis, Gemüse mit Rind, Tofu süßsauer mit Ananas. Und viel heißen Tee mit Honig.

Gegen morgen weckt mich ein blechernes Trommel. Regen. Um nicht zu sagen Wolkenbruch...! So wie man ihn in den Tropen kennt. Kurz und heftig. Mit dem "kurz" war es allerdings so eine Sache. Als mich Ker kurz nach 9 Uhr abholen kommt, gießt es immer noch in Strömen. Schließlich steige ich in meinen Regenanzug. Die Schuhe sind noch nass. Ich suche meinen Schirm. Vergeblich. Offenbar hatte ihn eine der Marktfrauen "geliehen", die am Abend noch den Vorplatz unserer Bleibe bevölkert hatten - in der vagen Hoffnung auf ein schnelles Geschäft. Das war die Höchststrafe für mich! Ich storniere die kommende Nacht in der Eco Lodge und buche ein Zimmer in Sapa. Ab jetzt sind wir auf dem "Heimweg"...

Also stapfe ich neben Ker durchs Dorf - den Kopf möglichst weit unter ihren Schirm geneigt. Ab und zu stößt sie gegen meine Mütze und das Wasser trieft von oben in meinen Anzug.
Ker schlägt vor, ihr Elternhaus zu besuchen. Es liegt etwas abseits der üblichen Touristenpfade. Unterwegs treiben Kinder Büffel und Rinder durch den Regen.

Hier sieht man noch, wie die Leute leben, bevor der bescheidene Wohlstand einkehrt, den der Tourismus mit sich bringt. Keine Souvenir-Shops. Keine Stände mit Getränkeflaschen. Häuser aus Holz und die Ställe direkt vor der Tür.

Ums Feuer sitzen Mama, Oma und Schwester und besticken die Kleider für's Neujahr-Fest in 6 Wochen. Alle haben ziemlich blaue Finger.


Denn die Stoffe werden mit Indigo gefärbt, das aus Stengeln von großblättrigen Pflanzen gewonnen wird. Die kann man neben Reis überall auf den Feldern sehen. Vor der Hütte eine große Tonne mit blauer Brühe, in der die Stoffe drei Tage lang gefärbt werden.

Mama spricht sogar ein paar Worte Englisch. Ich erfahre, dass sie bald alleine mit Oma und Ehemann im Haus leben wird, da nun auch die zweite Tochter heiratet und dann zu ihrem Mann ins Nachbardorf zieht. Ich bin erstaunt. Hätte die Kleine bestenfalls auf 14 geschätzt. Aber sie ist schon 20 und deshalb sei es an der Zeit, dass sie unter die Haube kommt. Ich setze mich mit ans Feuer und schaue den fleißigen Händen bei der Arbeit zu.

Als Ker zum Aufbruch mahnt, habe ich eigentlich genug gesehen. Ich sehne mich nach einer Badewanne. Wir neben den direkten Weg bergauf zur Straße. In der Hoffnung, nach knapp 2 Kilometern ein freies Taxi oder einen Minibus zu finden. Der Weg ist die Hölle. Steil und rutschig. Ker übernimmt meinen Rucksack. Ich habe auch so genug Probleme, die Balance zu halten. Immer wieder brauche ich eine Pause. Mir fehlt schlicht die Puste und die Oberschenkel sind wie blockiert. Irgendwie hatten wir das doch schon mal. Letztes Jahr in Kalau in Myanmar. Ich scheine nichts dazu gelernt zu haben...! Ker ruft ein Taxi und als wir endlich die Straße erreichen, wartet ein warmer Sitz. Vom Sapa Paradise View Hotel aus habe ich einen "herrlichen" Blick über das verregnete Sapa. Von drinnen schaut alles ganz harmlos aus.


Samstag, 10 Januar. Es hat die ganze Nacht geregnet. Aber ich habe herrlich geschlafen. Die Aircondition kannte offenbar nur zwei Positionen. 29 Grad oder geschätzte 15 Grad. Sobald man nur ein Grad runter geht. Habe mich für die 29 Grad entschieden und alle Klamotten rund um das Gebläse aufgehängt. Heute früh waren sogar die Schuhe trocken, die ich gestern unter der Dusche einer Grundreinigung unterzogen habe. Meinen Zug nach Hanoi habe ich auf heute umgebucht, obwohl es auch dort regnen soll.
Hätte ich nicht zum Bankautomaten gemusst, hätte ich das Hotel heute nicht verlassen, bevor das Taxi nach Lao Cai kommt. Nach einem feuchten Spaziergang zum Sapa-See und vorbei am neuen Markt habe ich wieder Geld in der Tasche und genug gesehen.

Zum Beispiel den " besten Freund des Menschen", der zerlegt und scheinbar müde lächelnd auf einer kleinen Theke liegt. Armes Schwein, der Hund...!



Den Rest des Nachmittags liege ich auf der Massagebank. Man gönnt sich ja sonst nichts. Zurück im Hotel ist alles in heller Aufregung. Auch mein Taxi wartet schon, obwohl noch eine knappe Stunde Zeit ist. "Hurry hurry! Land slide - road blocked. Not sure we can make it...!" Schon 3 km talwärts beginnt eine Autoschlange - soweit das Auge reicht. 24km sind noch zu bewältigen. Das sieht nicht gut aus. Mein Fahrer überholt mit aggressiver Hupe Autos, LKW's, Busse. Kein Gegenverkehr. Ob das ein gutes Zeichen ist? Schließlich doch der erste Bus mit Ziel Sapa. Offenbar geht doch etwas. 1 Stunde später und 3 km weiter passieren wir die Stelle, an der der Erdrutsch war.

Man hatte das Zeug einfach mit der Raupe den Hang runter geschoben und ein paar Reisfelder verwüstet. 15 Minuten vor Abfahrt des Zuges liege ich in meiner Koje. 2 Betten bleiben frei. Vermutlich waren einige Minibusse doch nicht ganz so mutig gewesen beim Überholen...

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